Frankfurter Neue Presse 27.08.2015
In den meisten hessischen Kommunen gibt es Freie Wählergemeinschaften (FW), die oft auch als Koalitionäre in der Verantwortung stehen. Die FW selbst bezeichnet sich gerne als „dritte Kraft“. Wie gefährlich ist diese Bewegung für die etablierten Parteien? Der Landesvorsitzende Rudolf Schulz sieht die FW schon im Angriffsmodus. Immer ein Ohr für die Menschen haben: Dies setzt Rudolf Schulz in seinem Offenbacher Wahlkreis schon lange um. Hier ließ er sich im März 2013 von Corinna Michaelis (links) und Cornelia Finkbeiner über die Motive ihrer Demo für die Tierherberge Egelsbach informieren.
Hallo, Herr Schulz! Schon dran gedacht, dass in einem halben Jahr in Hessen Kommunalwahlen sind?
RUDOLF SCHULZ: Natürlich, und das schon seit einigen Wochen. Ganz offiziell starten wir am 17. Oktober mit unserer Delegiertenversammlung, aber bis dahin müssen natürlich Plakate entworfen, Themen entwickelt und Programmentwürfe geschrieben sein, wofür schon eine Arbeitsgruppe starke Vorarbeit geleistet hat. Damit sind wir eigentlich jetzt schon fertig.
Dann könnten die FREIEN WÄHLER am 6. März 2016 ja wieder mal vor einem Erfolgserlebnis stehen. Die Versuche bei Bundestags- und Landtagswahlen waren eher gegenteilig.
SCHULZ: Den Anfang Ihrer Frage würde ich unterschreiben. Wir sind von den kommunalen Mandaten her gesehen drittstärkste Kraft in Hessen und seit 2006 in rund 370 von 426 Kommunen mit rund 1500 unserer Kandidaten vertreten. Das ist schon mal ein Beweis unserer Stärke. Weil viele Themen für die Kommunen aber auf Landes- oder Bundesebene entschieden werden, haben wir uns auch auf den Weg gemacht, auch dort um Stimmen zu werben.
Mit dem Erfolg, dass Sie bei der Landtagswahl 2013 1,2 Prozent geholt haben, bei der gleichzeitigen Bundestagswahl sogar nur 0,8 Prozent . . .
SCHULZ: Wenn man mit der Einschätzung antritt, gleich die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken, so ist das ziemlich unrealistisch. Man muss langsam wachsen, das haben die Entwicklungen bei den Piraten und der AfD ja gezeigt. Die 0,8 Prozent bei den Bundestagswahlen 2013 waren für uns Hessen sicherlich nicht ausreichend, aber ich bin dafür angetreten, dass wir kontinuierlich wachsen.
Bei einer Kommunalwahl erwarte ich eigentlich von allen Kandidaten, dass sie auf die Probleme vor Ort eingehen und nicht über die EU-Erweiterung, die Griechenland-Krise oder die Energiewende schwadronieren können.
SCHULZ: Die Fragen der Grundsteuer B, der Unterbringung von Flüchtlingen, von Kita-Gebühren, Umgehungsstraßen, Fluglärm oder den Bau von Windkraftanlagen werden mittlerweile alle in Wiesbaden entschieden. Also müssen wir auch die Landespolitik im Auge haben. Dabei dürfen wir natürlich den fehlenden Zebrastreifen oder die Ampelanlage in der Kommune nicht aus den Augen verlieren. Es wird ein langer Weg sein, aber irgendwann werden wir unsere Themen auch im Landtag vertreten können.
Die FREIEN WÄHLER können in Hessen auf eine lange und gute Tradition verweisen. Vielfach hervorgegangen aus lokalen Bürgerinitiativen, erzielten die unabhängigen und überparteilichen freien Wählergruppierungen
Dabei könnte es doch schon reichen, auf die Fehler der politischen Konkurrenz zu warten und den darüber enttäuschten Wählern von CDU, SPD und Grünen eine Heimat zu geben.
SCHULZ: Das könnte man so tun, aber ich bin nicht dafür, weil der Erfolg nur vorübergehend wäre. Wir sind keine Protestpartei, sondern eine Partei, die die Probleme der Bürgerinnen und Bürger aufgreift. Wir müssen uns als Alternative etablieren, denn, dass die Menschen nach etwas anderem außerhalb der großen Parteien suchen, sieht man ja daran, dass sie zunehmend nicht mehr zur Wahl gehen. Wir müssen uns nur positionieren – und dafür sorgen, dass wir wahrgenommen werden. Den Gefallen tun uns die Medien leider nicht immer in dem gewünschten Maß.
Haben Sie – vergleichbar der AfD – nicht das Problem, dass Sie sich gegen rechte Strömungen abgrenzen müssen?
SCHULZ: Das sehe ich nicht. Wir sind organisatorisch zu sehr gefestigt, um uns von rechts zu „entern“.
Was hat sich bei den FREIEN WÄHLER denn geändert, seit Sie im Frühjahr zum „starken Mann“ gekürt wurden?
SCHULZ: Als Erstes haben wir mal einige Strukturen verändert, von einem Umzug der Geschäftsstelle bis zur Einstellung von neuen Mitarbeitern. Aber wir haben auch inhaltlich mit der Einrichtung von Arbeitskreisen einiges getan. Das Ziel war, ein neues Wir-Gefühl und Aufbruchstimmung zu entfachen. Das ist uns auch gelungen, da kam die Vorbereitung auf die Kommunalwahl 2016 gerade recht.
Wo würden Sie die FREIEN WÄHLER denn im Parteienspektrum verorten?
SCHULZ: Wir lassen uns nicht in dieses Rechts-links-Schema pressen. Es gibt sicherlich ein Vakuum im bürgerlichen Spektrum, wo wir uns eher heimisch fühlen als auf der linken Seite, wo SPD, Grüne und Linkspartei schon miteinander konkurrieren und Inhalte besetzen.
Wen wollen Sie denn bei der Wahl ärgern, auf wessen Stimmen haben es die FREIEN WÄHLER abgesehen?
SCHULZ: Das wird sehr unterschiedlich sein. In Frankfurt beispielsweise werden CDU und Grüne sicher Stimmen verlieren, da haben wir sicherlich eine Chance bei deren Klientel. In anderen Städten kann es schon ganz anders sein. Wir zielen auf die Stimmen aller anderen Parteien.
5,7 Prozent hatten Sie landesweit bei der Wahl 2011. Und 2016?
SCHULZ: Ich glaube, dass wir um die sieben Prozent schaffen und damit dritte Kraft in Hessen werden. Die Grünen werden die Gewinne von vor fünf Jahren durch den damals noch ganz frischen Fukushima-Effekt nicht verteidigen können.
Also, rosige Aussichten für die FREIEN WÄHLER, oder?
SCHULZ: Wir werden einerseits durch die Fehler der großen Parteien in den verschiedenen Regierungskonstellationen wachsen. Weil die Wahlbeteiligung weiter sinken wird, werden die kleinen Parteien, also auch wir, außerdem prozentual zunehmen. Aber leider bekommen wir nicht automatisch Zulauf von den Menschen, die sich etwa bei den großen Parteien CDU und SPD nicht mehr zu Hause fühlen. Die Ablehnung der Politik insgesamt, die bei vielen Bürgern zu verzeichnen ist, wendet sich auch gegen uns. Kommunalwahlen sind auch Personenwahlen, es hängt also viel von den einzelnen Kandidaten ab. Wir haben versucht, Menschen für unsere Sache zu gewinnen, indem wir sie aufgefordert haben: Komm runter vom Sofa und beteilige dich an der Gestaltung der Politik.
Interview: Georg Haupt