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FREIE WÄHLER-Vorsitzender kein „heimlicher Islamist“
SCHWALMSTADT | BRÜSSEL | FRANKFURT | WIESBADEN. Die FREIE WÄHLER sind vor dem „Sprung“ auf die große politische Bühne, haben fantastische Umfragewerte in Bayern und inzwischen auch in Hessen. Als Alternative bieten sie sich derzeit überall an. Und genau jetzt tauchen Vorwürfe gegen die beiden Spitzenkandidaten auf.
Zuerst Vorwürfe gegen Aiwanger, die dieser gewiss nicht wirklich souverän gekontert hat und nun auch gegen den Hessischen Spitzenkandidaten sowie Europaabgeordneten Engin Eroglu. Würde nur einer dieser Vorwürfe (oder beide) zutreffen, dürften Aiwanger und Eroglu kaum miteinander reden, geschweige denn arbeiten können. Tatsächlich verbinden den UR-Bayer und konservativen Politiker Aiwanger und den Schwälmer Eroglu, dessen Eltern aus der Türkei kommen, freundschaftliche Bindungen, die zuletzt bei Aiwangers Besuch in Eroglus Heimatstadt Schwalmstadt sichtbar wurden (Artikelbild).
Der türkische CVJM-Aktivist und ehrenamtliche Mitarbeiter der Evangelischen Kirche
Wer Engin Eroglu und seinen Weg in der Schwalm beobachtet hat, findet auch heute noch in den Medien Spuren seiner Jugend. Geboren und aufgewachsen in Schwalmstadt war er bereits als Jugendlicher aktiv im christlichen Schwalmstädter CVJM und dort schließlich treibende Kraft beim Aufbau einer TEN-SING-Gruppe. Das ist ein Format musikalisch-kulturell-kreativer christlicher Jugendarbeit. Nach seinem Fachabitur ist er außerdem ein Jahr ehrenamtlich und freiwillig durch Deutschland gereist, um mit dem Starter Team TEN SING Gruppen zu gründen.
Während seiner Kindheit lebte die Familie Eroglu im Nachbarhaus des evangelischen Gemeindepfarrers und Engin ging dort ein und aus. So war er vom Kindergottesdienst bis zur Jungschar, über TEN SING bis hin zum Evangelischen Kirchentag ehrenamtlich tätig. Mit seinen auf diese Weise mitgeprägten Wertvorstellungen engagierte er sich zunächst sehr aktiv bei den GRÜNEN mit und baute später die FREIE WÄHLER in Schwalmstadt, Hessen und schließlich bundesweit (mit) auf. Er ist dort Aiwangers Stellvertreter im Bundesvorstand.
Verantwortung für andere Menschen übernommen
Nicht nur das: Eroglu hat schon früh auch Verantwortung für andere Menschen übernommen. So hat er nach eigener „Ausbildung“ im Herbstcamp und vielen anderen Seminaren des CVJM dort ehrenamtlich viel geleistet und andere junge Menschen angeleitet sowie auf Seminaren ausgebildet.
Umso verwunderlicher ist es, wenn aktuell zwei Medien Nähe zu Erdoğan und dem Islamismus mutmaßen. Das passt so gar nicht ins Bild. So schreibt Erkan Pehlivan als Freier Journalist Der Frankfurter Rundschau (FR / Ippen Media), dass Engin Eroglu 2019 zu Gast war beim UID. Diese Organisation steht dem regelmäßig in den Medien kritisierten Moscheeverein DITIB nahe und damit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Das ist nicht verwunderlich, denn Erdogan und auf Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder haben die UID gemeinsam gegründet.
Gerhard Schröder (Gründer), Ines Claus, Norbert Schmitt, Yanki Pürsün und Engin Eroglu bei UID
Gast bei der UID waren im gleichen Zeitraum aber eine Menge andere Politiker auch und das ist nicht einmal schwer zu recherchieren. Wir haben einen Flyer im Internet gefunden, den wir gerne zeigen. Sogar die CDU-Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Ines Claus und der ehemalige Generalsekretär der hessischen SPD, Norbert Schmitt sowie das FDP-Landtagsmitglied Yanki Pürsün tauchen als Gäste der UID auf. Der Logik aktueller Veröffentlichungen folgend, müsste dann bei allen die Nähe zum Islamismus vermutet werden? Unterstellt wird das aber nur dem türkischstämmigen Engin Eroglu. Und genau bei solch einer Unterscheidung macht es Sinn, den Hintergrund genauer zu beleuchten.
In einem Artikel in der türkischen Zeitung Sabah aus 2018 wird berichtet das Claus, Schmitt und Pürsün bei der Landtagswahl für Ihre politischen Inhalte bei einer Podiumsdiskussion der UID in Hessen werben.
Vielleicht geschieht das, weil in der Türkei selbst eine Meldung die Runde macht, dass Engin Eroglu der UID nahesteht und im Europaparlament die Position der UID vertritt. Autor Erkan Pehlivan, der mit uns übrigens sehr freundlich kommuniziert hat, hat sie uns zur Verfügung gestellt.
Welche Relevanz haben Meldungen einer AKP-nahen Nachrichtenagentur?
Schaut man genau hin, wird diese Meldung aber ausschließlich von der wohl wichtigsten türkischen Nachrichtenagentur İhlas Haber Ajansı (İHA) verbreitet, der allerdings eine deutliche Nähe zur AKP Erdogans unterstellt wird. Sonst wäre sie auch kaum so bedeutend. Und tatsächlich übernehmen türkische Medien den Zweizeiler ihrer mutmaßlichen „Leitagentur“. Manche aber mit Hinweis auf die Agentur-Herkunft und – wie die Beyaz Gazette – mit der Klarstellung, diese Meldung redaktionell nicht überarbeitet zu haben. Anders als in Deutschland könnte auf diese „folgsame Weise“ eine „Gleichschaltung der türkischen Presse“ zu funktionieren?
Und wenn wir schon mal recherchieren, dann auch nach dem Namen des FR-Autors Erkan Pehlivan, der als seriöser Journalist gilt und bei vielen deutschen Medien als anerkannter Freier Mitarbeiter geschätzt wird. Das geschieht sicher nicht grundlos. Ich habe ihn als kompetenten Kollegen mit bester Absicht wahrgenommen.
Das österreichische „Medium Magazin“ (Eugendorf) mit Redaktion in Mannheim (2011) und das Kölner „Deutsch-Türkische-Journal“, aber auch die Evangelische Akademie Bad Boll kennen Erkan Pehlivan als früheren Redaktionsleiter von EbruTV (später QLAR). Das ist ein Sender, den Wikipedia als Offenbacher TV-Kanal der türkischen World Media Group identifiziert und der im Zusammenhang mit Berichten aus den NSU-Prozessen bekannt wurde. Die Mediengruppe – einst Herausgeber der großen türkischen Zeitung Zaman (und Zaman Avrupa) – wiederum wird laut Wikipedia der Gülen-Bewegung zugeordnet. Diese Gruppierung wird sowohl mit dem Aufbau von Recep Tayyip Erdoğan als Präsident als auch mit dem Putsch gegen ihn 2016 in Verbindung gebracht. Nach den innertürkischen Konflikten löste sich die Mediengruppe auf, stellte den Sendebetrieb sowie alle Printmedien ein oder musste das tun.
Weitere Vorwürfe gegen Führungsstil in der Folge
Das ist zumindest eine interessante Tatsache, wenn es darum geht, veröffentlichte Meldungen türkischstämmiger Journalisten gegen, für oder über türkischstämmige deutsche Politiker zu bewerten. Das möchten wir an dieser Stelle aber gar nicht tun, finden die Zusammenhänge allerdings zumindest „betrachtenswert“. Wir möchten dem Autor jetzt nicht genauso leichtfertig Nähe zu Gülen unterstellen, vielmehr eine noch nicht zu Ende geführte Recherche weiterführen, die vielleicht noch nicht veröffentlichungsreif gewesen ist.
Danach haben sich Dinge verselbstständigt. Der Wiesbadener Kurier geht in einem Artikel auf den FR-Text ein und erhebt zusätzlich Vorwürfe gegen den Führungsstil Eroglus. Es wären Mitglieder in manchen Verbänden „entfernt“ worden. Wie schwer es nach deutschem Recht tatsächlich ist, unzureichend begründete Parteiausschlüsse durchzusetzen, haben die SPD bei Gerhard Schröder und die CDU bei Hans-Georg Maaßen jüngst erfahren.
Nach der nh24-Recherche gingen alle genannten FW-Parteiausschluss-Verfahren vor das Partei-Schiedsgericht der FREIE WÄHLER und wurden dort ausnahmslos bestätigt, weil immer ein parteischädigendes Verhalten zugrunde lag. In keinem Fall kam es zu einer Klage vor einem Landgericht, was die erste außerparteiliche Instanz bei einem Vorgehen gegen Parteiausschlüsse – ganz gleich in welcher Partei – wäre.
Haltung gegen Doppelpass und Bleiberecht ohne Arbeit und Integration
Engin Eroglu hat sich bei der Vorstellung des FW-Programms zur Landtagswahl im Sommer in Eiterfeld sehr deutlich zur Einwanderung positioniert: Er ist gegen den „Doppelpass“, was ihn für viele Türken in der Bundesrepublik schwer wählbar macht und grundsätzlich ist jegliche Form der Zuwanderung nur für diejenigen möglich, die arbeiten wollen und sich auch integrieren. Damit ist Eroglus Position innerhalb der türkischen Community eigentlich klar.
Am 8. Mai 2011 hat die gleiche Ippen-Gruppe Engin Eroglu übrigens noch als Initiator des christlichen Europäischen TEN-SING-Festivals in Schwalmstadt gefeiert, das mehrere Tausend Christen in die Konfirmationsstadt gelockt hat und beim letzten „christlichen“ Weihnachtsmarkt in Schwalmstadt 2022 hat Eroglu den Eröffnungsgottesdienst mitgestaltet. Auch die Mitarbeit im Arbeitskreis zur Vermarktung des Prädikats Konfirmationsstadt würde weder zu einem offensiven noch heimlichen Islamismus passen. (Rainer Sander)